ressourcenschonend leben

Nestrückbau - Suffizient und klimafreundlich wohnen

Wie wollen wir leben, wie wollen wir wohnen? Interview mit der Architektin Sabine Pfister zu suffizientem Wohnen und dem Projekt ‚Nestrückbau‘.
Die Architektin Sabine Pfister. Foto: Cynthia Matuszewski

"Je weniger Wohnraum pro Person genutzt wird, desto weniger CO2 Ausstoß entsteht pro Person. Außerdem wird dringend benötigter Wohnraum geschaffen."

Sabine Pfister, Architektin

Die Architektin Sabine Pfister, unter anderem Sprecherin der Lokalen Agenda 21 in Augsburg, Mitbegründerin des Wohnzimmers im Schwabencenter und Gründungsmitglied der gemeinnützigen Augsburger Wohnungsbaugenossenschaft WOGENAU eG interessiert sich seit Jahren für die Fragen: Wie wollen wir wohnen? Wie könnten wir (optimalerweise) wohnen? Und wie können wir bestehende Wohnsituationen verbessern – beispielsweise durch Fassadenbegrünung. In ihrem neuesten Projekt Nestrückbau geht es um suffizientes Wohnen.

 

Was bedeutet suffizientes Wohnen? Was hat Wohnen mit Klimaschutz zu tun?  

Sabine Pfister: Suffizienz bedeutet: Angesichts der begrenzten natürlichen Ressourcen das „richtige Maß“ für Konsum, also auch den Gebrauch von Wohnraum, zu finden. Dabei wird davon ausgegangen, dass verminderter Ressourcenverbrauch auch zu einem zufriedeneren Leben führen kann, nach dem Motto: Gut leben statt viel haben. Je weniger Wohnraum pro Person genutzt wird, desto weniger CO2 Ausstoß entsteht pro Person. Außerdem wird dringend benötigter Wohnraum geschaffen.

 

Welche architektonischen Möglichkeiten gibt es um möglichst energie- und ressourcensparend neuen und mehr Wohnraum zu schaffen?

"Auf dem Weg zum suffizienten Wohnen sind die „dritten Orte“ in einer Nachbarschaft wichtig: Angenehme, konsumfreie Aufenthaltsorte außerhalb der eigenen Wohnung, die als zusätzliche „externe Wohnzimmer“ dienen."

Sabine Pfister, Architekitin

Sabine Pfister: Dadurch wird weniger individueller Wohnraum gebraucht und die nachbarschaftliche Gemeinschaft gestärkt. Die Bebauung kann dann dichter sein, als dies in derzeitigen Siedlungen der Fall ist. Dies wird über die Stadtplanung (Bebauungspläne) für neue Baugebiete gesteuert. Aber auch die Nachverdichtung im Bestand lässt viele Möglichkeiten zu.

Auch Gemeinschaftsräume innerhalb von Mehrfamilienhäusern, wie zum Beispiel gemeinsame Räume für Feste und Veranstaltungen, gemeinschaftliche Werkstätten oder Gästezimmer führen zu einer geringeren individuellen Wohnfläche.

 

Zudem gibt es viel Platz auf den Dächern von Supermärkten: Nach einer Studie der TU Darmstadt und dem Pestel Institut Hannover könnten zum Beispiel 400.000 Wohnungen über den Flächen von eingeschossigem Einzelhandel entstehen.

 

Am problematischsten sind im Zusammenhang mit suffizientem Wohnen Einfamilienhäuser?

Sabine Pfister: Ja, zu den problematischsten Gebäuden in Hinblick auf den Flächenverbrauch zählen Einfamilienhäuser. Ende 2020 gab es in Deutschland rund 19 Millionen Wohngebäude, darunter 12,9 Millionen Einfamilienhäuser, 3,2 Millionen Zweifamilienhäuser und 3,3 Millionen Mehrfamilienhäuser (DENA-Gebäudereport 2022). Das heißt also: Es lohnt sich, diesen Gebäudebestand näher zu untersuchen und sich die Frage zu stellen: Wie kann man auf einfache Weise hier eine bessere Ausnutzung erzielen?

Hier kommt das Projekt Nestrückbau ins Spiel.

"Viele Menschen möchten gerne in ihrer Nachbarschaft bleiben, weil sie sich gut anfühlt und hier viele soziale Kontakte bestehen. Wenn aber zum Beispiel die Kinder ausgezogen sind und das Einfamilienhaus oder die Wohnung zu groß geworden sind, braucht es kreative Lösungen."

Sabine Pfister, Architektin

Das Gleiche gilt für ein geringeres Einkommen im Ruhestand oder durch andere Umstände. Die einfachste Lösung ist in diesem Zusammenhang ein Haus - und die Kosten - durch zwei zu teilen.

 

Was ist der Vorteil, wenn man seine Wohnung oder sein Haus mit anderen teilt?

Sabine Pfister: Gerade in Zeiten wachsender Energiekosten liegen die Vorteile auf der Hand, denn es fallen weniger Kosten für Miete, Strom, Heizung und Instandhaltung an. Außerdem schafft der geringere Aufwand beim Putzen und die Beschränkung aufs Wesentliche Unabhängigkeit und Freiheit für andere Aktivitäten, zum Beispiel für Hobbys, Reisen, Sport oder Engagement.

 

Den meisten Menschen ist ihre Privatsphäre sehr wichtig. Oder vielleicht ein Hobby, wie Gärtnern oder Schreinern, das Platz und ein gewisses Maß an Freiheit erfordert. Wie können diese individuellen Bedürfnisse mit einem „Teilen“ oder „Verkleinern“ der eigenen Wohnung oder des eigenen Hauses vereinbart werden? Was schlagt ihr da vor?

"My home is my castle, das gilt immer noch. Ein geschütztes und angenehmes Zuhause ist sehr, sehr wichtig für die Seele. Aber gerade Hobbys machen gemeinsam mit anderen oft mehr Spaß."

Sabine Pfister, Architektin

Statt allein in der Werkstatt im Keller zu basteln, kann man sich z.B. einer gut ausgestatteten „offenen Werkstatt“ anschließen. Statt den eigenen Rasen zu mähen, gibt es viele Möglichkeiten für gemeinsames Gärtnern mit leckeren Ernteerträgen. Und das eigene, sperrige Fitnessgerät kann gegen eine Mitgliedschaft im Sportverein oder Fitnesscenter getauscht werden.

 

Welche Art der Unterstützung plant Ihr für Menschen, denen die Idee des Nestrückbaus gefällt und die ihr Eigenheim verkleinern oder teilen wollen?

Sabine Pfister: In Anlehnung an das Projekt „Kleiner besser Wohnen“ der Energieagentur Regio Freiburg, bieten Architekt*innen erste Überlegungen zum Umbau- bzw. zur Umnutzung an. Hierbei kann es um einfache Lösungen der Umnutzung gehen, aber auch um Aufstockungen, Dachgeschossausbauten, den Einbau von Einliegerwohnungen oder Anbauten. Die Expert*innen klären dabei erste gestalterische, technische, wirtschaftliche oder rechtliche Aspekte als Grundlage für weitere Überlegungen.

 

Ihr möchtet euer Projekt Nestrückbau mit Hilfe der Stadt Augsburg realisieren. Welche Struktur soll das Projekt haben?

Sabine Pfister: Diese Beratung soll über eine Agentur angeboten werden, die auch die Organisation des Angebots und die Kommunikation zwischen Architekt*innen und den potenziellen Bauherr*innen übernimmt. Wichtig ist eine kostenfreie, individuelle Beratung, um die Hürde des „ersten Schrittes“ zu überwinden.

 

Diese Agentur suchen wir gerade. Am liebsten würden wir hier mit der Stadt Augsburg zusammen arbeiten. Für Interessenten ist es wichtig, eine bekannte, neutrale und vertrauenswürdige Anlaufstelle zu haben. Die Stadt ist da genau der richtige Ansprechpartner.

 

Alternativ suchen wir weiter nach anderen Agenturen. Falls es nicht anders möglich ist, suchen wir auch selber nach Fördermitteln für das Gesamtprojekt.

 

Wenn Du die Wahl hättest – wie würdest Du am liebsten wohnen?

 

Sabine Pfister: Ich möchte am liebsten in einem lebendigen Viertel mit vielen externen Wohnzimmern leben. Meine eigene Wohnung muss dann nicht (mehr) groß sein, aber wunderschön! Wichtig ist auch die Erreichbarkeit der Nachversorgung, aber auch der kulturellen Einrichtungen zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Punktum: Ich möchte gerne weiterhin eine aktive Bürgerin von Augsburg sein!

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